Förderverein Historische Westsächsische Eisenbahnen e.V.
Die Geschichte der Schmalspurbahn Wilkau-Haßlau - Carlsfeld

Sachsen besaß einst neben dem Ruhrgebiet das dichteste Schienennetz in Deutschland. Das Eisenbahnwesen war in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts so weit entwickelt, dass nahezu alle Gemeinden einer gewissen Größe in Sachsen einen Eisenbahnanschluss besaßen. Liebstadt im Osterzgebirge und Wildenfels bei Zwickau waren die einzige Stadt des Freistaates, die niemals einen Bahnanschluss hatten. Ein solch dichtes Eisenbahnnetz wurde jedoch nur durch den vereinfachten Bau von Eisenbahnlinien untergeordneter Bedeutung möglich. Ab 1881 führte das zur Errichtung von Schmalspurbahnen, die den Gegebenheiten der Gebirgslandschaft besser anzupassen waren. In Bau und Betrieb waren sie wesentlich billiger.
 
Die erste Schmalspurbahn in Sachsen war die am 16.10.1881 eröffnete Strecke von Wilkau nach Kirchberg. In ihrer weiteren Entwicklung sollte sie nicht nur die erste Schmalspurbahn Sachsens bleiben. Vielmehr entwickelte sie sich auch zur längsten Schmalspurstrecke. Sie besaß den steilsten Streckenabschnitt einer sächsischen Schmalspurbahn überhaupt und hatte die meisten Anschlussgleise. Sie kann durchaus als eine Strecke der Superlative gelten. Foto: J. Walther
 
Hauptgrund für den Bahnbau war die sich entwickelnde Wirtschaft der Kleinstadt Kirchberg. Insbesondere die Textilindustrie verlangte nach verbesserten Transportmöglichkeiten. Der erste Streckenabschnitt war 6,7 Kilometer lang und entwickelte in den kommenden Jahrzehnten ein beträchtliches Verkehrsaufkommen. Das Angebot an Reisezügen war hier verglichen mit den anderen Teilabschnitten der Strecke Wilkau - Carlsfeld am höchsten. Foto: B. Colditz
 
Dennoch hatte die geplante Bahn für Kirchberg einen Nachteil. Die meisten Betriebe, die sich der Bahn bedienen wollten, lagen im hinteren Teil der Stadt, also weiter flussaufwärts im Rödelbachtal. Dieser Umstand führte dazu, dass noch vor Beginn des Bahnbaus Wilkau - Kirchberg eine Verlängerung der Strecke nach Saupersdorf beschlossen wurde. Diese ging am 30.10.1882 in Betrieb. Die Streckenlänge war bis Saupersdorf ob.Bf. auf 10,9 Kilometer angewachsen.
 
In der folgenden Entwicklung kam es zu zwei erneuten Streckenerweiterungen. Am 14.12.1893 weihte man den dritten Abschnitt von Saupersdorf ob.Bf. über Bärenwalde, Rothenkirchen, Stützengrün und Schönheide nach Wilzschhaus ein. Damit hatte die Strecke eine Länge von 34,5 Kilometern erreicht. Der Anfangs- wie auch der Endpunkt waren nun Spurwechselbahnhöfe. In Wilkau, welches 1935 durch Eingemeindung der Ortschaft Haßlau in Wilkau-Haßlau umbenannt wurde, bestand Anschluss an die Züge nach Zwickau und in Richtung Aue. In Wilzschhaus war der Übergang ebenfalls in Richtung Aue sowie in Richtung Adorf/Vogtland möglich. Foto: Sammlung H. Drosdeck
 
Mit der Streckenerweiterung hatte die Ortschaft Schönheide 5 Bahnhöfe. Da diese im Jahre 1950 alle umbenannt wurden und die Bahnhofsbezeichnungen hin und wieder für Verwirrung sorgen, sollen hier sämtliche Bahnhofsnamen einmal erwähnt werden: Aus Richtung Wilkau-Haßlau kommend erreicht der Schmalspurzug zuerst die Haltestelle Neuheide. Diese wurde 1950 in Schönheide Nord umbenannt. Der Haltepunkt der heutigen Museumsbahn ist wieder mit „Neuheide“ bezeichnet. Der nächste Halt folgte im Bahnhof Schönheide, welcher ab 1950 Schönheide Mitte hieß. Foto: L. Barche
 
Bereits einen knappen Kilometer weiter lag der Bahnhof Oberschönheide, ab 1950 Schönheide West. Der Spurwechselbahnhof Wilzschhaus entstand 1875 mitten im Wald im Zusammenhang mit dem Bau der Regelspurstrecke Chemnitz - Aue - Adorf. Die gleichnamige Ortschaft umfasst bis in die Gegenwart nur einige wenige Häuser. Bedeutung erlangte die Station erst mit dem Bau der Schmalspurbahn. Der Ort Wilzschhaus gehört heute zur Gemeinde Schönheide. Seit 1950 trägt der Bahnhof den Namen Schönheide Süd. Die fünfte und letzte Schönheider Bahnstation liegt an der Regelspurstrecke Chemnitz - Aue - Adorf. Dieser Bahnhof hieß vor 1950 Schönheiderhammer, seither jedoch Schönheide Ost. Er stellt heute den Endpunkt der Strecke aus Richtung Adorf dar. Unmittelbar hinter dem Bahnhof verschlingen die Fluten der Eibenstocker Talsperre die ehemalige Bahntrasse. Hierzu können Sie mehr im Kapitel zur Geschichte der Strecke Chemnitz - Aue - Adorf erfahren. Im folgenden sollen für die Schönheider Bahnstationen stets die seit 1950 gebräuchlichen Namen verwendet werden, um eine eindeutige Zuordnung der Stationen zu ermöglichen.
 
Zwar war die Eisenbahn in den 1960er Jahren noch ein hoch ausgelastetes und unverzichtbares Verkehrsmittel. 1967 begann auch auf unserer Strecke der Einsatz von Diesellokomotiven der Baureihen 110 und 118. Dennoch begann der Stern der CA-Linie zu dieser Zeit zu sinken. Per 1. März 1967 wurde die komplette Strecke von einer Haupt- in eine Nebenbahn umgewandelt. 1969 fiel der Beschluss der Stilllegung des Streckenabschnittes Wolfsgrün - Schönheide Ost, um Baufreiheit für die Trinkwassertalsperre Eibenstock zu schaffen. Das Projekt der Talsperre gab es bereits lange vor der zweiten Weltkrieg. Hätte man es bereits so zeitig ausgeführt, wäre es mit Sicherheit zum Bau einer Neubautrasse der CA-Linie im Eibenstocker Raum gekommen. Andernorts nahm man diesen Aufwand sogar bei weitaus weniger bedeutsamen Schmalspurbahnen in Kauf. So verlegte man die Schmalspurstrecke Freital-Hainsberg - Kurort Kipsdorf 1912 beim Bau der Talsperre Malter auf einer Länge von mehreren Kilometern. Auch für die CA-Linie gab es Projekte einer Talsperrenumgehung. Doch maß man Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts der Strecke Aue - Adorf schon nicht mehr die Bedeutung bei, um diesen Aufwand zu rechtfertigen. Der Durchgangsverkehr ließ sich auch über die Hauptbahn Chemnitz - Zwickau - Plauen - Adorf - Bad Brambach abwickeln und der örtliche Verkehr konnte auf den verbliebenen Streckenästen weitergeführt werden.
 
War es im Raum Kirchberg die Textilindustrie, die der Bahn entscheidende Impulse gab, so war es in Stützengrün und Schönheide die Bürstenfabrikation, welche den Güterverkehr belebte. In Carlsfeld hingegen verlangte die Glasindustrie nach einem Bahnanschluß. Dieser wurde ab 21.06.1897 zur Realität. Die vierte und letzte Erweiterung der Strecke von Wilkau-Haßlau maß 7,4 Kilometer. Die Schmalspurbahn hatte ihre endgültige Ausdehnung erreicht. Sie bekam die bahnamtliche Abkürzung WCd für Wilkau - Carlsfeld, denn das Kürzel WC war zu diesem Zeitpunkt bereits für die Nebenbahn Walthersdorf - Crottendorf vergeben. Mit 41,9 Kilometern Länge war die WCd wie eingangs erwähnt die längste Schmalspurbahn Sachsens, wobei sie die Müglitztalbahn Heidenau - Altenberg um wenige hundert Meter Streckenlänge übertraf. Foto: G. Meyer
 
Die markantesten Bauwerke unserer Strecke waren mit Sicherheit die drei großen Stahlviadukte bei Stützengrün und Schönheide Süd. Leider wurden diese für eine Schmalspurbahn sehr imposanten Brücken nach der Stillegung in den Jahren 1980 bis 1982 allesamt abgerissen.

In Punkto Lokomotiveinsatz blieb unsere Schmalspurbahn zeitlebens eine typische Domäne der IV K. Natürlich kam anfangs auch hier die Gattung I K zum Einsatz, war sie doch 1881 die einzige Schmalspurlokomotive der Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen. Ihre Leistung reichte aber schon frühzeitig nicht mehr aus. Der erste Einsatz einer IV K auf der WCd datiert aus dem Jahre 1893. Ab zirka 1925 hatte diese Lokgattung das alleinige Sagen auf der Strecke, und dies änderte sich bis zu ihrer endgültigen Stilllegung 1977 nicht.

 
Zu Beginn der 70er Jahre, als sich die Eisenbahnfotografie immer mehr zu einem weit verbreiteten Hobby von Eisenbahnfreunden entwickelte, wurde die WCd zu einem Wallfahrtsort für Fotografen. Zu dieser Zeit war die Strecke bereits zweigeteilt und ihr Ende war definitiv absehbar. Die Rentabilitätsuntersuchungen der ersten Hälfte der 1960er Jahre hatten eindeutig die Stillegung der gesamten Strecke Wilkau-Haßlau - Carlsfeld empfohlen. Seit 1966 wurde die Einstellung des Betriebes abschnittsweise realisiert. Der Niedergang begann am 21. Mai 1966. An jenem Tag fuhr der letzte Personenzug zwischen Schönheide Süd und Carlsfeld, gezogen von der Lok 99 592. Fortan sorgte auf diesem Streckenabschnitt nur der Güterverkehr für Beschäftigung bei der Schmalspurbahn, doch gelang es diesen bis Juli 1967 auf die Straße zu verlagern. Gezogen von der 99 586 verließ am 14.07.1967 der letzte Zug Carlsfeld. Foto: J. Walther

Foto: G. Meyer

 
Bereits am 27. Mai 1967 verkehrte zwischen Kirchberg und Saupersdorf ob.Bf. der letzte Reisezug, befördert von 99 585. Güterverkehr gab es hier noch bis zum 14. Juli 1967. Ab 15.07.1967 war die WCd in zwei Streckenteile gebrochen. Grund dafür war eine marode Brücke in der Stadtdurchfahrt von Kirchberg. Dieses Ereignis nahm man zum Anlass für eine Sperrung dieses Abschnittes unserer Schmalspurbahn. Ironie des Schicksals ist es, dass ausgerechnet diese Brücke als letzte originale Stahlbrücke der gesamten WCd auch im Jahr 2001 noch existiert.
 
Der restliche Bahnbetrieb hielt sich noch mehrere Jahre. Zwischen Saupersdorf ob.Bf. und Rothenkirchen endete der Zugverkehr endgültig am 31. Dezember 1970, nachdem der Personenverkehr schon am 30. Mai des Jahres sein Ende gefunden hatte. Nach knapp 92 Betriebsjahren wurde am 2. Juni 1973 schließlich auch der Schlussstrich unter das Kapitel jenes Streckenabschnittes gesetzt, welcher 1881 die erste sächsische Schmalspurbahn überhaupt war. An diesem Tag verkehrten die letzten Züge zwischen Wilkau-Haßlau und Kirchberg mit 99 561. Foto: S. Weigel
 
Nun blieb nur noch der Rest zwischen Rothenkirchen und Schönheide Süd bestehen. Auch hier entsprachen die Reisezeiten natürlich in keiner Art und Weise mehr dem Stand der Zeit. Der Oberbau war komplett aufgebraucht und ließ in weiten Abschnitten nur noch 10 km/h zu. Am 27. September 1975 befuhren 99 568 und 99 585 die Strecke letztmalig mit planmäßigen Zügen. Damit endete der Reiseverkehr auf der WCd. Der heutigen Jöhstädter 99 568 war am 30. April 1977 auch die Aufgabe beschieden, den allerletzten Güterzug von Stützengrün nach Schönheide Süd zu befördern.
 
Bis 1979 konnte man die 99 582 und 99 590 noch mit Abbauzügen bei immer kürzer werdenden Fahrten erleben. Im August 1979 stand im Bahnhof Schönheide Süd letztmalig eine IV K unter Dampf. Damit hatte das Kapitel Schmalspurbahn Wilkau-Haßlau - Carlsfeld vorerst sein Ende gefunden.Mit den politischen Veränderungen in den Jahren 1989/90 ergaben sich auch für Eisenbahnfreunde neue Perspektiven. 1991 gründete sich die Museumsbahn Schönheide/Carlsfeld e.V., welche sich den Wiederaufbau des 16,2 Kilometer langen Streckenabschnittes Stützengrün Hp. - Schönheide Mitte - Schönheide Süd - Carlsfeld zum Ziel gesetzt hatte. Foto: S. Weigel
 
Als erster wiederaufgebauter Abschnitt ging am 22. Juli 1994 der Streckenteil Schönheide Mitte - Schönheide Nord in Betrieb. Seit 6. Dezember 1997 fahren die Museumszüge wieder bis zur Bürstenfabrik Stützengrün, vor deren Hauptgebäude sich der ehemalige Haltepunkt Stützengrün befand. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Bahnhof im Ort. Da es letzteren nicht mehr gibt, wird die heutige Endhaltestelle mit „Stützengrün“ bezeichnet. Foto: H. Drosdeck
 
Ende 1996 begann die Museumsbahn Schönheide/Carlsfeld auch mit dem Wiederaufbau des Streckenabschnittes Schönheide Süd - Carlsfeld. Diskrepanzen innerhalb des damaligen Vereinsvorstandes führten jedoch zum Abbruch der Arbeiten, obwohl der Verein zu diesem Zeitpunkt mit fast 80 ABM-Kräften ausgestattet war, die sich nicht alle sinnvoll mit den Restarbeiten an der Stützengrüner Strecke beschäftigen ließen. Des weiteren hatte der damalige Geschäftsführer der Museumsbahn - heute Vorsitzender des Fördervereins Historische Westsächsische Eisenbahnen - den Großteil des benötigten Gleisbau- und Brückenmaterials für den Wiederaufbau Schönheide Süd - Carlsfeld versorgt. Jedoch ließ sich der Wiederaufbau dieses Streckenteils vereinsintern inzwischen nicht mehr durchsetzen, so dass das Vorhaben vorerst fallen gelassen werden musste. Die Konzentration der Museumsbahn Schönheide/Carlsfeld auf die 3,3 Kilometer zwischen Schönheide Mitte und Stützengrün sowie weitere Aspekte veranlassten in den folgenden Jahren eine hohe Anzahl von Vereinsmitgliedern zum Verlassen der Museumsbahn.
 
Einige von ihnen sind heute im Förderverein Historische Westsächsische Eisenbahnen tätig. Hier beispielsweise ist Vereinsmitglied Sandro Höppner mit dem Aufmauern des neuen Schornsteins des Carlsfelder Lokschuppens beschäftigt. Foto: H. Drosdeck

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